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Energie sparen!
Belinda Kazeem, 2011

Kennst du das, wenn du dich mit einer künstlerischen Arbeit konfrontierst und es klick macht? Als mir eine Schwester vor rund sechs Jahren die Arbeiten „My Calling (Cards) #1 and #2“ von Adrian Piper zeigte, war es da. Dieses Klick, das sich durch Augen, Hirn und Herz zieht und bei dem ich dachte: I know what you’re talkin’ about. Seitdem träume ich – und ich weiß, mit mir träumen einige mehr – von eigens für Österreich produzierten My Calling (Cards). Stell dir vor: rassistisch-sexistische Situation. Du bleibst ruhig, sagst kein Wort. Ziehst einfach eine Karte heraus. Übergibst sie mit einem Lächeln oder auch ohne. Drehst dich hocherhobenen Hauptes um und gehst. Einatmen. Ausatmen. Weiter im Takt.

Wir alle haben uns schon in Situationen befunden, wo wir die einzige Schwarze Frau im Raum waren. Das ist vielleicht nicht immer ein Grund zur Sorge. Doch sind wir innerlich nicht immer darauf vorbereitet, die Maske der Political Correctness könnte fallen und damit zumindest eine rassistische Aussage?

In ihren Texten zu den „Guerilla Performances“, zu denen auch „My Calling (Cards)“ gehören, beschreibt Adrian Piper acht Möglichkeiten des Umgangs mit rassistischen Situationen. Fünf davon sind mir aus Gründen meiner Sichtbarkeit verwehrt. ,Blending in‘, also ein sich Hineinschummeln in einen weißen Hintergrund, funktioniert aus offensichtlichen Gründen nicht, selbst wenn ich mich in Dresscode, Gehabe oder Sprache anpassen würde. Auch die Variante, andere Gäste vorab über das Auftauchen einer Schwarzen Person zu informieren, die nicht gleich als solche erkennbar ist, läuft in meinem Fall nicht. Die Erfahrung aber, dass sich (weiße) Leute vorwarnen, ist nicht nur mir bestens bekannt. Dann passiert immer die gleiche Geschichte: Wildfremde kommen auf dich zu und erzählen dir ungefragt von ihrem Engagement bei „Licht für die Welt“ oder irgendeiner Entwicklungshilfe- – sorry – Entwicklungszusammenarbeitsorganisation. Oder sie erklären dir: „Ich war schon in der Schule Fan von Martin Luther King und finde es total wichtig, sich für diese Sachen einzusetzen. Bob Marley ist übrigens auch ganz super.“ Wenn Leute so oder so ähnlich fünf Mal pro Abend versuchen, eine/n auf Antirassist/in zu machen, weißt du, hier wurde vorgewarnt.

Hätte ich als Jugendliche schon gewusst, dass es „My Calling (Card) #2 (for Bars and Discos)“ gibt, hätte ich mir viele Diskussionen und vor allem Ärger erspart – und damit meine ich jenen Ärger, den wir im Bauch haben, wenn wir uns an solchen Orten mit unerwünschten ,Kontaktaufnahmen‘ herumschlagen müssen. Bemerkungen darüber, wie gut du tanzt – egal, ob das stimmt oder nicht. Dazu pseudobiologistische Erklärungen, die untermauern sollen, dass dies in deinem Fall ganz ,natürlich‘ ist. Ein paar Aussagen zur, ach, so positiven Grundstimmung, die dich und deinesgleichen auszeichnet. Und nicht zu vergessen die Versuche des Gegenübers, dir körperlich nahe zu kommen. Am liebsten mag ich persönlich die Frage, ob du ..................... [beliebigen Namen einsetzen] kennst, der/die auch Schwarz ist und aus ..................... [beliebiges Land in Afrika einsetzen] kommt. In Österreich läuft die ,Annäherung‘ außerdem gern auf Englisch. Eine Schwarze Frau mit deutscher Erstsprache – wo gibt’s denn so was? Wenn ich dann absichtlich im breitesten Wienerisch antworte und mein Gegenüber trotzdem auf Englisch weiterredet, weiß ich, nicht ich werde gesehen, sondern irgendeine Fantasiefigur, irgendeine Vorstellung von einer prototypischen Afrikanerin (was oder wer auch immer das sein soll).

Rassismus und Sexismus sind häufig als ,Freundlichkeit‘ maskiert, weshalb es schwieriger ist, entsprechend zu reagieren. Jede/r von uns kennt die automatisch vorgebrachte abwehrende Behauptung, ,vollkommen unschuldige‘ Bemerkungen oder Fragen missverstanden zu haben und seltsam überempfindlich zu sein. Damit landen wir sofort in der Ecke der aggressiven Schwarzen Frau, die eine solche Belästigung thematisiert, und uns wird unterstellt, wir seien diejenige Person gewesen, die den Konflikt eigentlich ausgelöst hätte.

Für eine (sichtbare) Schwarze Person in einem weißen Raum stellt sich pausenlos die Frage: Ignorieren oder Konfrontieren? Früher habe ich oft so getan, als hätte ich nichts gehört. Das ist mittlerweile ausgeschlossen. Ich gehe nicht mehr mit einem riesigen Stein im Bauch nach Hause. Wenn schon, sollen alle Beteiligten Steine im Bauch nach Hause tragen, und das, bitte, mit dem geringsten Energieaufwand meinerseits. Mehr und mehr bin ich davon überzeugt, dass nur die weiße Mehrheitsgesellschaft davon profitiert, wenn wir unsere Kräfte in den täglichen Re/Inszenierungen kolonialer Gewalt verausgaben, statt sie in die Verwirklichung unserer Visionen zu investieren. Deswegen müssen wir ,guerilla performances‘ – energie-effiziente Formen des Widerstandes – kultivieren. Adrian Pipers „My Calling (Cards)“ sind eine solche Möglichkeit: das Zurücksprechen, ohne ein Wort zu verlieren und Energie zu verschwenden. Vermutlich würde das Austeilen von Karten bald zur Gewohnheit werden. Gelegenheiten gibt es ja genug…

Seit Jahrhunderten tragen Schwarze Menschen – Schwarze Frauen in spezieller Weise – Wissen über weiße Menschen und weiße Machtstrukturen zusammen. Dieses Reservoir dient uns, überall auf der Welt, als Grundlage für die Erarbeitung eines widerständigen Instrumentariums. Ich träume davon, dieses Wissensarchiv sichtbar zu machen: eine Millionen Terabyte große Festplatte mit den unterschiedlichsten Quellen und Anhaltspunkten, mit Bezügen zu afrikanischen und afrodiasporischen Aktivist/innen, Künstler/innen und Denker/innen. Von Sojourner Truth zu Ike Ude, von Ngũgĩ wa Thiong’o zu Ursula Rucker, von Oscar Micheaux zu Fasia Jansen, von Anton Wilhelm Amo zu Frantz Fanon, von Josephine Soliman zu Beauford Delaney, von Audre Lorde zu May Ayim. Nicht homogen, nicht eindimensional und daher auch diverse Geschichten und Sichtweisen widerspiegelnd.

Meine eigene Suche, quer durch verschiedene Schwarze Zeiten und Räume, ließ mich nicht nur etwas über das globale Arsenal unterdrückerischer Strukturen lernen. Sie resultierte vor allem in der Erkenntnis, welche Vielzahl an Parallelen, Gemeinsamkeiten und Unterschieden es gibt, die Schwarze Menschen – Schwarze Frauen in spezieller Weise – in ihren Entgegnungen auf diese Strukturen in Theorie und Praxis, in Kunst und Literatur artikuliert haben. Den wiederkehrenden Re/Inszenierungen von rassistisch-sexistischer und anderen Formen diskriminierender Gewalt begegnen wir immer schon mit Schwarzen (weiblichen) Gegenwelten. Diese in den Fokus zu rücken heißt anzuerkennen, dass Widerstand von Erfahrungen und Wissen, von Analysen und Visionen lebt, die es braucht, um etwas Neues aufzubauen.

Mit Adrian Pipers Beispiel vor Augen gestalte ich meine eigenen My Calling (Cards), die meinem Raum und meiner Zeit entsprechen. Ich vervielfältige sie und trage sie bei mir. Ich stelle mir vor, wie es wäre, sie zu gegebenem Anlass auszuteilen. Unzählige Schwarze Frauen weltweit tun dasselbe. Wir bleiben ruhig. Ziehen einfach unsere Karten heraus. Übergeben sie mit einem Lächeln oder auch ohne. Drehen uns hocherhobenen Hauptes um und gehen. Einatmen. Ausatmen. Weiter im Takt.

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Belinda Kazeem ist Kulturtheoretikerin und freie Autorin in Wien.

Redaktion: Nicola Lauré al-Samarai, Jo Schmeiser

Der Text erschien am 15. Oktober 2011 in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“.