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Die Realität des Schwarzseins:
Die Psychodynamik weißer Mythen

Shirley Tate, 2012

Die Angst vor der Schwarzen Frau, vor ihrem Urteil über die Psyche der weißen Frau ist eine interessante Position mangelnder Privilegiertheit. Sich selbst als eine Person darzustellen, die Angst empfindet und ihren ganzen Mut zusammen nimmt, um die Geschichte „ungefiltert“ zu erzählen, zeugt freilich von Privilegiertheit. Wenn du deine Vorurteile der rassisierten Anderen gegenüber offenlegst, um ein antirassistisches Bewusstsein zu behaupten, dem du dich vielleicht nicht einmal politisch verbunden fühlst, zeugt das von Privilegiertheit. Ebenso der Versuch, über das Mitgefühl der Anderen aufgrund des gemeinsamen feministischen Standpunkts zu Vergewaltigung, Frauenhass und häuslicher Gewalt einen Freispruch von Rassismus zu erlangen. Die stille Aufforderung, die Schwarze Frau möge im Namen von Schwesternschaft für die feministische Sache Partei ergreifen und dabei weißen Rassismus unterstützen, festigt die unsichtbaren Privilegien des Weißseins, die im Feminismus auch heute noch oft unbemerkt bleiben. Damit Schwesternschaft proklamiert werden kann, verlangt der Feminismus immer noch eine radikale Loslösung der Schwarzen Anderen von ihrer Rassisierung und von Schwarzer Politik.

Zu sagen, dass du Angst hast, bringt dich in eine unterlegene Position und impliziert zugleich Überlegenheit. So kannst du deine Angst vor dem Schwarzen männlichen Anderen ins Feld führen, ohne dass dies deinem Ruf schaden würde, denn niemand wird dich als „Rassistin“ beschimpfen. Schließlich ist es ein Allgemeinplatz, dass die Bedrohung durch den Körper des Schwarzen Mannes weiße Panik heraufbeschwört. DU vergisst Rassismus und deine eigene Komplizenschaft, weil DU das kannst. DEINE weißen Privilegien machen es DIR möglich, Rassismus verschwinden zu lassen. Rassisierte Körper werden von DEINEM Blick fixiert, die rassisierten Anderen aber können Rassismus niemals vergessen. Am meisten hat mich an Privilege fasziniert, wie in einem Interview mit weißen Frauen über die Wechseljahre „Rasse“ [1] und Rassismus auftauchen, um – über eine Erzählung des (Nicht-)Kontakts mit Schwarzen / als Schwarz konstruierten männlichen Körpern bei gleichzeitiger totaler Unsichtbarkeit der Körper junger Schwarzer Frauen – die ungebrochene Privilegierung weißer Frauen zu veranschaulichen.

Die Geschichte der Privilegien der weißen Frau impliziert auch noch eine andere Erzählung. Eine Erzählung, geschrieben auf dem und durch den Körper des Schwarzen Mannes: als Vergewaltiger, als Gewalttäter in der Familie, als arm, un- oder unterbeschäftigt, als Frauenjäger und als politischer Aktivist mit einer radikal-antirassistischen Gesellschaftskritik, die ihre Wurzeln in der Black-Power-Bewegung hat. All diese Mythen, die den Schwarzen männlichen Körper als Symbol und als Schauplatz der Bedrohung für die weiße Frau, ob Lesbe oder Hetera, verfestigen, machen uns bewusst, wie leicht die Psychodynamik der Schwarzen männlichen Gefahr für weiße Weiblichkeit im kollektiven Gedächtnis von weißen Frauen aufgerührt werden kann. Der Schwarze Mann als Gefahrenzone für die weiße Frau wird zur Bedrohung für die Gesellschaft und die in ihr so fest verankerten weißen Privilegien. Das angeblich so enorme Verlangen von Schwarzen Männern nach weißen Frauen und das Leugnen von deren Begehren nach Schwarzen Männern kritisiert Carlos, der die Schwarze männliche Sexualität als einen dunklen Kontinent bezeichnet.

Hinter der Schwarzen männlichen Gefahr versteckt sich wie immer eine ganz bestimmte Politik der Herrschaft über die internen rassischen Kolonien [2] und sie gründet auf Gefahren, die von rassischer und sexueller Differenz ausgehen. Die Einführung von Differenz impliziert, dass Weißsein nie als eine Kategorie befragt wird, die unterschiedliche Körper in unterschiedlichen Kontexten besetzen können, während gleichzeitig Schwarzsein durch den Einfluss der „one-drop-rule“ [3] und die damit einhergehende Vererbung rassistischer Benachteiligung als Kategorie eingefroren wird. Dieser biologische Essentialismus wirkt ironisch in einem Film, der sich gegen die Idee ausspricht, Frauen würden, sobald ihre alternden Körper mit den Wechseljahren und dem unausweichlichen Verfall konfrontiert werden, durch Biologie determiniert. Und doch spielt sich vor unseren Augen erneut „rassischer“ Essentialismus ab, wenn Stew and Carlos die weiße Welt interpretieren, in der sie leben und in der Hautfarbe mit Privilegien verknüpft wird.

Stew denkt, die Realität des Schwarzseins außerhalb der Vereinigten Staaten bestehe darin, als „Neger“ durch weiße Macht konstruiert zu werden und weiße Privilegien in der Karibik und in Lateinamerika fortzuführen, so wie sie in den Vereinigten Staaten existieren. In diesem besonderen geopolitischen Kontext erinnert uns Stew daran, dass Weißsein immer eine undifferenzierte Schwarze Masse hervorbringt – ungeachtet der Identifikationen, Herkünfte und Handlungen von Individuen. Carlos ist also genauso Schwarz wie Stew, ungeachtet seines trigueño-Aussehens und weißer Vorfahren in Puerto Rico, was uns klar wird, während wir Carlos zuhören, der in einem Park sitzt und aus Fanons Analyse der Auswirkungen des epidermalen Rassenschemas [4] liest.

Die Anwesenheit von Carlos, eines durch den US-amerikanischen weißen Terror als Schwarz konstruierten Mannes, wird immer als Bedrohung für die weiße Frau, das weiße Mädchen gelesen werden, ebenso wie für seine puertoricanische Frau Digna, die schon von vornherein als eine Frau definiert wurde, die Gewalt durch ihren Schwarzen (als Schwarz konstruierten) Mann erfahren wird.

Digna macht uns bewusst, dass Frauen weiterhin von ihren Partnern geschlagen und getötet werden und dass Misogynie die häusliche Gewalt als Teil eines breiteren sozialen Gewebes aufrecht erhält. Wichtig ist dabei, dass dies als eine spezifisch Schwarze Pathologie präsentiert wird, die Schwarze Frauen erdulden müssen, besonders, wenn sie Migrantinnen sind. Der Migrant/innenstatus als ein Aspekt rassisierter Differenz wird an mehreren Stellen von Carlos angesprochen, Digna aber zeigt uns eine spezielle Form der Feminisierung von Rassismus in der psychiatrischen Diagnostik und bei der Zwangseinweisung in eine psychiatrische Anstalt.

Diese Erfahrung, die so unüberhörbar von rassistischer Unterdrückung erzählt, wird im Film auf seltsame Weise zum Schweigen gebracht, da sie wahrscheinlich zu lautstark an den Privilegien des weißen Feminismus rüttelt. Wenn DU die DIR so kostbaren Wissenskategorien zu Geisteskrankheit genauer ansehen müsstest, wenn DU Kategorien wie manisch-depressiv oder schizophren aufgeben und hinterfragen müsstest, dann würdest DU eine Rassisierung und Feminisierung zu sehen bekommen, die dich vielleicht über die unersättliche Gier nach solchen Kenntnissen und Diagnosen nachdenken ließen. Die Entscheidung, den Blick auf die Wechseljahre und auf Schwarze Männer als Bedrohung zu richten, löscht die Überschneidungen von Rassismus, Sexismus, Klasse und der Privilegien des weißen Feminismus bei der Erzählung von Lebensgeschichten und Subjektivitäten.

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Shirley Anne Tate ist Professorin für Race and Culture an der Universität Leeds.

Redaktion: Jo Schmeiser & Sabine Rohlf

Übersetzung aus dem Englischen: Anna Kowalska, Jo Schmeiser und Nicholas Grindell

Der Text erschien (auf Englisch) am 30. November 2012 in der Wiener Zeitschrift MALMOE.

Anmerkungen der Redaktion

1) Shirley Tate spricht im Englischen von „race“ und „racial“. Manchmal setzt sie die Begriffe in Anführungsstriche, manchmal nicht, was wir im Deutschen übernommen haben. Wie in der Übersetzung von Adrian Pipers „My Calling (Card) #1“ (Conzepte Beitrag 2/2011) wurde „race“ und „racial“ auch hier entsprechend eindeutig ins Deutsche übersetzt. Obwohl ,Rasse‘ als biologische Realität nicht existiert, ist sie als soziales, politisches und kulturelles Konstrukt enorm wirkmächtig. Im Deutschen wird der Begriff ,Rasse‘ aufgrund des nationalsozialistischen Bedeutungszusammenhanges generell vermieden. Eine solche Auslassung löst jedoch das Problem nicht. Einerseits lassen sich die kolonialen Wurzeln des ,Rasse‘konzeptes nicht mehr greifen, was eine historisch fundierte Analyse heutiger Rassismen erschwert. Andererseits wird es verunmöglicht, jenen gesellschaftlichen Positionen, Identitäten und Denkansätzen angemessen Rechnung zu tragen, die im Widerstand gegen ,rassische‘ Strukturen und Zuschreibungen entwickelt worden sind.

2) Die Theorie des „internen Kolonialismus“ (internal colonialism) vertritt die These, dass die westlichen Industriestaaten auf der Suche nach neuen Märkten nicht nur andere Länder zur Koloniebildung annektierten, sondern auch in ihren eigenen Ländern „interne Kolonien“ (internal colonies) bildeten. Schon Lenin und Gramsci verwendeten in den 1920er-Jahren das Konzept, um Asymmetrien zwischen Gebieten innerhalb von Nationalstaaten zu benennen; in den 1930er-Jahren wurde es zur Analyse des Verhältnisses zwischen Nord- und Südstaaten in den USA herangezogen. Michael Hechter machte den „internen Kolonialismus“ 1975 in Europa bekannt. Seit Mitte der 1960er-Jahre bezeichnet der Begriff auch eine strukturelle politische und ökonomische Ungleichheit zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Staates, die an Kategorien wie ,Rasse‘ und Geschlecht festgemacht wird. (Anmerkung der Redaktion; Quellen: Bernhard Dietz, Die Macht der inneren Verhältnisse, Münster / Hamburg / London 1999, S. 40f.; Petrus Han, Soziologie der Migration, Stuttgart 2005, S. 357f.; ‪Peter Kreuzer‬ / ‪Mirjam Weiberg‬, Zwischen Bürgerkrieg und friedlicher Koexistenz, Bielefeld 2007, S. 169f.)

3) Die „one-drop rule“ ist jenes rassistische Gesetz in den USA, nach dem Personen mit Schwarzen und weißen Vorfahren automatisch der nicht-weißen, weniger privilegierten Gruppe zugeordnet und diskriminiert wurden. Erstmals 1911 im US-Bundesstaat Arkansas verabschiedet, ist das Gesetz auch unter den Namen „Act 320“ bzw. „House Bill 79“ bekannt. Der Gesetzestext definiert jede Person „who has ... any negro blood whatever“ als „negro“. Einige Bundesstaaten verankerten die „one-drop rule“ fest in ihrer Gesetzgebung, so etwa der Bundesstaat Virginia in Form des „Racial Integrity Act“ von 1924. Als rassistische Vorstellung ist die „one-drop rule“ bis heute wirksam. (Quellen: www.encyclopediaofarkansas.net ; Pauli Murray (Hg), States’ Laws on Race and Color, Athens, Georgia 1997; Frank W. Sweet, Legal History of the Color Line: The Rise and Triumph of the One-Drop Rule, Palm Coast, Florida 2005; Wikipedia, englische Seite)

4) Frantz Fanon, Peau noire, masques blancs, Paris 1952; auf Deutsch erschienen unter dem Titel: Schwarze Haut, weiße Masken, Frankfurt/M 1980. Fanon beschreibt, wie durch die rassistischen Blicke und Artikulationen der Weißen das Selbstverständnis des eigenen Körpers zusammenbricht und einem „epidermischen Rassenschema“ Platz macht: „Mama, ein Neger! – Still! Er wird böse werden. – Achten Sie nicht darauf, Monsieur, er weiß nicht, daß Sie genau so zivilisiert sind wie wir. […] Mein Körper kam ausgewalzt, zerteilt, geflickt zu mir zurück, ganz in Trauer an jenem weißen Wintertag. […] Wo mich nun verkriechen? Aus den unzähligen Zersplitterungen meines Seins spürte ich das Blut in mir hochsteigen. Ich war im Begriff, wütend zu werden. […] Schau nur, er ist schön, dieser Neger. – Der schöne Neger scheißt auf Sie, Madame!“ (Fanon 1980, S. 81ff.)