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Die Conversations sollen Denkräume zwischen den Autor/innen und ihren Bezugnahmen auf den Referenztext eröffnen. Die Redaktion stellt eine Reihe von Fragen, welche die Autor/innen wählen bzw. auch verwerfen können. Zu antworten, nicht zu antworten und eigene Themen einzubringen, steht den Autor/innen frei.

Conversations Monika Bernold / Shirley Tate

Conzepte /

Am Anfang eines Films ist noch alles offen und doch ist das Grundkonzept in kondensierter Form bereits sichtbar. Monika hat den Anfang von Privilege ausgewählt und arbeitet mit einigen von Yvonne Rainers formalen Entscheidungen. Shirley hat Privilege buchstäblich beim Wort genommen und konzentriert sich darauf, was im Film gesagt wird, wer welchen Dialog spricht und nicht auf die filmischen Mittel. Wie habt Ihr die Szenen bzw. Dialoge aus dem Film ausgewählt? Wie habt Ihr Eure Schwerpunkte definiert?

Monika Bernold /

Anfänge interessieren mich seit vielen Jahren. Anfänge markieren Grenzen zum Noch-Nicht und Passagen ins Werden. Sie sind von einer prinzipiellen Offenheit, einer grundlegenden Unsicherheit bestimmt und gleichzeitig von einer Potentialität, die zumeist schon vieles von dem enthält, was folgt. Ich habe in meiner Arbeit als Historikerin Anfänge von schriftlichen Lebenserinnerungen sogenannter einfacher Leute aus vorwiegend ländlichen Regionen Österreichs untersucht und konnte dabei feststellen, dass der Sinn, der dem eigenen Leben in der schriftlichen Erzählung gegeben wird, oder auch die Vorstellung von Diskriminierung und Privilegierung, häufig sehr eng mit Erzählungen der eigenen Geburt verwoben ist. Der Blick auf diese doppelte Repräsentation des Beginns als Anfang der Lebensgeschichte und als erzählter Lebensanfang war sehr hilfreich für die historische Rekonstruktion der komplexen Zusammenhänge von Fakten und Fiktionen der Identität in schriftlichen Formen des Selbstbezugs.

In Rainers Film hat mich die Idee der Wiederholung des Anfangs besonders fasziniert. Im Spiel mit der Konvention der Autorisierung im Vorspann wird in Privilege durch den verdoppelten Anfang die Identität der Figur der Filmemacherin gleichermaßen problematisiert und vervielfacht. Ich glaube, dass es in Yvonne Rainers Film sehr wesentlich um Geschichte und Geschichten in ihrer Multidimensionalität geht. Die Auseinandersetzung mit filmischen Stilmitteln ist dafür ein wichtiger Transmitter, was auf den ersten Seiten des Filmskripts besonders deutlich wird. Das hat die Entscheidung, mich auf den Anfang des Skripts zu beziehen, bestärkt.

Shirley Tate /

Ich beschloss, mich nicht darauf zu konzentrieren, wie der Film gemacht ist. Denn ich bin keine Filmkritikerin, sondern Kultursoziologin und beschäftige mich mit postkolonialer/dekolonialer Forschung, Rassisierung, Affekt, Geschlechter- und Diskursanalyse. Deshalb war die Auseinandersetzung mit dem Dialog für mich ein wesentlicher Ausgangspunkt um zu begreifen, wie Privilegiertheit im Film selbst entsteht. Den Dialog zu ignorieren oder die filmische Analyse über die Diskursanalyse zu stellen würde für jemand aus meinem Fachbereich einfach keinen Sinn ergeben. Es ging mir auch um die Frage, wie Privilegiertheit in einer Arbeit entsteht, die angeblich die Wechseljahre zum Thema hat? Das fand ich wirklich interessant, denn sehr oft diktiert ja das Alltägliche, wie Rassismus, weiße Privilegiertheit und Geschlechter-Ungleichheit funktionieren. Also, wie schnell man in einem Gespräch über die Menopause anfängt, sich ebenfalls vorgefasster Meinungen über Menschen zu bedienen, die zu rassisierten Anderen gemacht worden sind, und zwar auf eine Art und Weise, die „nicht beleidigend gemeint ist“, sondern „die tatsächlichen Lebenserfahrungen der rassisierten Anderen thematisiert“.

Die Entscheidung, mich auf die Problematik des Körpers des Schwarzen männlichen Anderen zu konzentrieren, hat der Film in meinen Augen selbst getroffen. Privilege gründet auf bestehenden Stereotypen von Schwarzen Männern, die es in der Gesellschaft gibt und die für jede und jeden leicht zugänglich sind. Die Banalität dieser Stereotypen machte mir die Entscheidung dann leicht. Und die Tatsache, dass sich diese Stereotypen über den Black Atlantic [1] erstrecken und in den USA wie in Großbritannien gleichermaßen Anklang finden. Das ist es dann auch, was am anti-Schwarzen Rassismus und seiner Ausprägung in der westlichen Hemisphäre wirklich interessant ist. Yvonne Rainers Entscheidungen haben mich veranlasst, bestimmte Dialoge aus dem Film auszuwählen. Denn wenn man über rassische [2] Differenz zwischen Puerto Ricaner/innen und Afro-Amerikaner/innen spricht, wenn man Fanon zitiert, wenn man Schwarze Männer als Vergewaltiger und Gewalttäter gegen Frauen erwähnt – all das steckt bereits die Grenzen ab, in denen das Schwarze männliche Subjekt hier entworfen wird.

Conzepte JS /

Die Gründe für Deine Entscheidung, den Dialog ins Zentrum zu stellen und die ästhetischen Strategien des Films beiseite zu lassen sind gut nachvollziehbar. Als Filmemacherin interessiert mich hier jedoch Deine (postkoloniale/dekoloniale) Sicht des Visuellen oder genauer: wie Du das Zusammenwirken von Dialog und filmischer Ästhetik in Privilege einschätzen würdest. An manchen Stellen im Film, zum Beispiel, entsteht eine Irritation, ein Widerspruch zwischen dem, was gesprochen wird, und dem, was man sieht. Carlos’ Dialog über Brendas sexuelles Interesse an Schwarzen und Latinos ist z.B. in Schwarz-Weiß gedreht, Carlos spricht in Voice-Over (er schaut in die Kamera, spricht aber nicht im Bild) während die Kamera langsam in eine extreme Nahaufnahme zoomt. Die Arbeit mit bzw. an filmischen Konventionen lässt sich auch als der Versuch der Filmemacherin interpretieren, einen Konflikt unterschiedlicher Sichtweisen (darunter auch Klischeebilder) zu zeigen und eine kritische Diskussion über den rassistischen Status quo Anfang der 1990er-Jahre zu eröffnen. Was denkst Du?

Shirley Tate /

Du hast hier wirklich einen Punkt. Ich habe mir den Film nochmals angesehen, um nachzuvollziehen, was Du meinst und Du hast wirklich Recht. Mir scheint, dass Privilege immer auch einen düsteren Subtext des Weißseins zeigt, der mit der Angst, aber auch mit der Faszination gegenüber den Schwarzen Anderen beschäftigt ist. Das macht der Film zum Beispiel auch in der Parkszene deutlich, als Carlos auf der Bank sitzt und die weiße Frau mit dem Kind anschaut; er ist für den auf Bedrohung fixierten weißen Blick überpräsent, aber abwesend in der dominanten Eltern-Kind-Verbindung, welche die USA als rassisierten Staat untermauert. Obwohl ich mich frage, ob wir das ohne die Worte Fanons auch so gelesen hätten?

Conzepte SR /

Die im Film thematisierte Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen Schwarzen Mann ist eine Konstellation, in der sich rassistische, aber auch sexistische Stereotype verdichten. Dass Rainer sie aufgreift, ist eine Provokation. Shirley bewertet sie sehr kritisch. Wie siehst Du das, Monika?

Monika Bernold /

Das Aufgreifen und Zitieren von Stereotypen kann eine Provokation sein. Die Frage aber ist, wen provoziert das Stereotyp, wen beruhigt und wen beunruhigt es? Da sind sie, die Verschiedenheiten, die Differenzen und deren Vervielfachung, die der Film anbietet und die das Sehen von Privilege möglich macht und vielleicht sogar erzwingt. Die Vervielfältigung der Perspektiven schenkt mir einen Abstand, von dem aus mir nicht nur ein filmästhetisches sondern auch ein politisches Urteil möglich wird, das deshalb politisch ist, weil es simple Täter/Opfer-Dichotomien verwirft. Wichtig scheint mir bei dem Thema Vergewaltigung die Konstellation von Gewalt und Begehren, die Rainer ins Spiel bringt und in ihrer Ambivalenz thematisiert. Meine eigene Filmlektüre der Sequenz war sehr stark von meiner ambivalenten Leseerinnerung an Fanon bestimmt.

Conzepte /

Wie ist die konkrete Form Eures Textes entstanden: die Schreibweise (wie etwa das Schreiben in der Ich-Form), der Aufbau, die verwendeten Stilmittel (wie z.B. Regieanweisungen), usw.?

Monika Bernold /

Die Einladung von Dir, Jo, schreibend zu experimentieren, hat es mir möglich gemacht, eine assoziative Schreibweise auszuprobieren, in der ich zwei getrennte Felder meiner wissenschaftlichen Arbeit, nämlich Filmwissenschaft und Auto/Biographieforschung in der Auseinandersetzung mit Yvonne Rainers Primärtext spielerisch verbinden konnte. Das Schreiben jenseits akademischer Schablonen war zunächst ungewohnt, aber lustvoll und erkenntnisreich.

Shirley Tate /

Ich habe mir den Film einige Male angesehen um sicherzustellen, dass mein Blickwinkel Sinn ergibt und danach ist mein Text dann recht schnell entstanden. Privilege ist selbst so facettenreich, dass ich vielen Aspekten hätte nachgehen können. Doch habe ich mir jenen Aspekt ausgesucht, den ich in einem angeblich von den Wechseljahren handelnden Film paradox fand. Das heißt: Warum werden Schwarze Männer in einem Film über die Menopause zu einem so zentralen Thema? Was repräsentieren sie in Bezug auf die Nation und die Positionierung von weißen Frauen darin? Warum wird keine vergleichende Darstellung mit der gleichen Anzahl von Schwarzen und weißen Frauen über die Menopause gemacht, wenn dies das Thema ist? Welche Funktion erfüllen die Schwarzen Männer? Ist der Film ein Kommentar zu einer ungleichen Gesellschaft als Ganzes und zu ihrem Umgang mit Minderheiten? Das waren einige der Fragen, die ich mir stellte, um einen Blick auf den Film zu wählen, der aus meiner spezifischen Sicht Sinn ergibt.

Monika, kannst Du mir erzählen, was Dich am meisten inspiriert hat, mit dem Schreiben zu beginnen?

Monika Bernold /

Die Inspiration ist eigentlich aus dem Dialog mit Jo entstanden. Es hat mich gereizt, Teil des Stimmengewebes des Conzepte-Projekts zu werden. Am Anfang stand mein Interesse am Experimentieren beim Schreiben, an der Arbeit mit offeneren Erzählformen als jenen, die ich aus feministisch-akademischen Kontexten kenne. Besonders inspirierend fand ich die Möglichkeit des Dialogs, der Konfrontation und auch des Übens von Dissens mit anderen feministischen und kritischen Positionen, Texten, Filmen.

Conzepte /

Yvonne Rainer verschränkt in ihrem Film zwei Genres – das dokumentarische und das fiktionale –, die sie in zwei parallelen Handlungen nebeneinander laufen lässt. Im Film treten auch zwei Regisseurinnen auf: Yvonne Rainer, die sich selbst (als weiße Dokumentarfilmerin) spielt, und die Schwarze Spielfilmregisseurin Yvonne Washington, die von der Schauspielerin Novella Nelson dargestellt wird. Wie wirken sich die formalen Strategien des Films auf seine Figuren, seine Themen und deren Verzahnung aus?

Monika schreibt: „Die Uneindeutigkeit und Mehrstimmigkeit von Diskriminierung und Differenz hat Privilege bereits 1990 in die Bühne des filmischen Raums übersetzt.“ Also siehst Du in dieser Offenheit, die gleichwohl Machtunterschiede sichtbar macht, eine Stärke.

Shirley schreibt: „Die Entscheidung, den Blick auf die Wechseljahre und auf Schwarze Männer als Bedrohung zu richten, löscht die Überschneidungen von Rassismus, Sexismus, Klasse und der Privilegien des weißen Feminismus bei der Erzählung von Lebensgeschichten und Subjektivitäten.“ Meinst Du, dass der Film von seiner Struktur bzw. Schwerpunktsetzung her rassistisch ist – oder ist das zu sehr zugespitzt?

Könnt Ihr mit den Sichtweisen der jeweils Anderen etwas anfangen?

Monika Bernold /

Die Privilegien des Weißseins und die Privilegien des weißen Feminismus als Psychodynamik weißer Mythen zu buchstabieren, wie Shirley es in ihrem Text tut, war für mich sehr erhellend, gerade auch und besonders durch die von ihr gewählte Form der Adressierung, die mich überrascht und mich aus meiner routinierten Distanz der Leserin gerissen hat. Ich habe Privilege nach der Lektüre von Shirleys Text in einigen Aspekten anders, neu sehen können. Shirley macht in ihrer Kritik an Yvonne Rainers Film klar, dass ,Wir‘ nicht nur als privilegiertes Kollektiv, sondern vielmehr als privilegiertes ICH, immer wieder vor der Entscheidung stehen, wohin wir den Blick richten und welche Privilegien damit auch als Privilegien des weißen Feminismus, MEINES weißen Feminismus, sichtbar werden. Ich, als weiße Feministin, so würde ich auf Shirley antworten, produziere eine Form der Ignoranz, die nicht einfach im ‚richtigen‘ Sehen von Privilege auflösbar ist. Ich glaube allerdings auch, dass Privilegien nicht dadurch einfach verschwinden, dass sie bewusst werden.

Das Projekt der De-Privilegierung von Weißsein aus Positionen des weißen Feminismus muss vielleicht die Dimensionen der Unmöglichkeit seiner selbst anerkennen und gleichzeitig das Unmögliche anstreben. Für mich hat das der Film von Yvonne Rainer 1990 ein Stück weit versucht und besonders durch sein formales Insistieren auf Mehrdeutigkeit und Mehrstimmigkeit von Identität und Privilegierung auch eingelöst. Gleichzeitig ist Privilege, wie Shirley deutlich macht, und, wie ich glaube, notwendigerweise, ein Stück weit am Sehen des Zusammenhangs von Rassisierung, Rassismus und den Privilegien des weißen Feminismus gescheitert.

Shirley Tate /

Ich würde nicht sagen, dass der Film rassistisch ist, denn ich bin sicher, das war nicht die Absicht. Doch begibt sich Privilege mit seinem dokumentarischen/fiktionalen Format auf sehr dünnes Eis, wo man sich als Betrachter/in zu fragen anfängt, was denn der Zweck dieses Films wirklich war. Ich denke, der Film hat eine klare antirassistische Funktion, wie man an Yvonne Washingtons Einwurf sehr viel später im Film sehen kann. Um aber dorthin zu gelangen, muss der Film im Gespräch mit dem Publikum sehr genau durchgearbeitet werden. Denn sonst ist es gut möglich, dass man dasitzt und sagt: „Ja, so sind Schwarze Menschen eben, also ist es kein Wunder, dass sie in diesem Film so erscheinen.“ In anderen Worten ist Privilege ein Film, der in der Lehre über weiße Privilegiertheit eingesetzt werden könnte.

Ich glaube, Du hast Recht, Monika, wenn Du schreibst, dass Privilege die Uneindeutigkeit und Mehrstimmigkeit von Diskriminierung und Differenz schon sehr früh in den filmischen Raum des Kinos übersetzt hat. Aber auch hier glaube ich, dass es auf das Publikum ankommt. Wir sehen das aufgrund unserer Sichtweisen so, aber es muss nicht notwendigerweise für jede und jeden der Fall sein. Zum Beispiel könnte ich mir vorstellen, dass Antirassist/innen über die Darstellung der Schwarzen Männer und der jungen puerto-ricanischen Ehefrau im Film sehr beunruhigt sind.

Wie interpretierst Du die Positionierung der jungen, Schwarzen Puerto Ricanerin, Monika?

Monika Bernold /

Meinst Du die Figur, die im Film den Namen Digna trägt oder die ‚junge Schwarze Puerto Ricanerin‘, die im Film nicht vorkommt? Sie, die Namenlose, wäre die Repräsentantin verschiedener junger Schwarzer Frauen, deren Geschichten nicht erzählt werden und deren Körper im Film unsichtbar bleiben. Ich weiß wenig über das Leben von jungen Schwarzen Puerto Ricanerinnen in New York und durch den Film erfahre ich darüber auch kaum etwas. Sie haben keinen Platz im Film. Sie werden allein durch Digna repräsentiert. Digna wird als junge, Schwarze Puerto Ricanerin in ihrem Verhältnis zu Carlos, als Migrantin und als Opfer einer rassistischen Psychiatrie positioniert. Sie wird gleichzeitig in verschiedenen filmischen Repräsentationen dieser Position und in verschiedenen filmischen Konstellationen sichtbar und hörbar. Sie wird funktionalisiert, so empfinde ich es, wenn sie in der Auto/Mobilitätsszene zur ironischen Figur der (Selbst)Kritik an Jenny ‚benutzt‘ wird. Trotzdem gefällt mir ihr Satz‚ „I am still hanging around“, der dem Prinzip ihres Verschwindens entgegenspricht, es allerdings auch nicht aufzuheben vermag. Digna spricht fast ausnahmslos in Form der direkten Adressierung zum Publikum und tritt in stark konnotierten Kostümen und Sprachidiomen auf, die ihre Positionierung als Andere einerseits unterstreichen und andererseits in Frage stellen.

Ich finde Deine Analyse der Feminisierung von Rassismus in Privilege, die Du an der psychiatrischen Diagnostik und an der Figur Digna festmachst, sehr interessant. Kennst Du Filme, die an der Dekonstruktion von Wissenskategorien arbeiten und denen dabei die Kritik an spezifischen Formen der Feminisierung von Rassismus gelingt?

Shirley Tate /

Ich habe mir vor Kurzem The Help [3] angesehen. Das ist ein erstaunlicher Film über die Kämpfe von Schwarzen Frauen im amerikanischen Süden, sich durch Klasse, Rasse und Segregation hindurch Gehör zu verschaffen. Der Film legt sein Hauptaugenmerk auf die Rolle der weißen Herrin und der Schwarzen Hausarbeiterin bei der Aufrechterhaltung von Rassismus. Das heißt, sogar auf so intimer Ebene wie im Privathaushalt garantiert die Teilhabe am gleichen sozialen Geschlecht keine Verbundenheit, weder politisch, noch affektiv. Der Film Imitation of Life [4] ist auch interessant. Denn er beschäftigt sich mit der gleichen Arbeiterin/Herrin-Dynamik, neben einer Geschichte der romantischen Bindung und des erfolglosen Passing [5], was schließlich zur Rückkehr in die Schwarze Community als dem einzigen Ort der Akzeptanz führt.

Conzepte /

An welches Publikum dachtet Ihr beim Schreiben über Privilege?

Monika Bernold /

Ihr, die Redakteurinnen, wart meine imaginären und meine idealen Leserinnen, weil das Sprechen über den Text integraler Teil des Conzepte-Projekts gewesen ist. Darüber hinaus habe ich vielleicht an politisch und am Film interessierte Leser/innen gedacht, mit denen sich, im besten Fall, irgendwann ein Sprechen über Privilege oder meinen Text und die dort auftretenden autobiographischen und begrifflichen Figuren ergeben wird.

Shirley Tate /

Ich dachte an ein deutschsprachiges Publikum, das nicht unbedingt weiß oder ein Frauenpublikum ist, sondern antirassistisch und antisexistisch.

Conzepte /

Eine Frage zu einer starken „Figur“ in Deinem Text, Shirley, nämlich dem DU (YOU) in Großbuchstaben: Für uns drückt sich in dieser Figur ein wütendes Adressieren des Publikums aus (wir hatten Dich auch so gelesen, dass Du dieses Publikum als ein weißes, privilegiertes verstehst). Wie hast Du diese Figur konzipiert, wie denkst Du sie? Interessant ist ja auch, dass im Text kein „Wir-Ihr“, sondern ein individuelles „Du“ gesetzt wird...

Shirley Tate /

Dieses DU (YOU) hat sich ganz von selbst entwickelt, weil ich wirklich dachte, dass die politische Aussage des Films nicht verloren gehen darf und mit voller Wucht übermittelt werden soll. Ich glaube außerdem, dass wir alle in verschiedenste Diskurse verstrickt sind, mit denen wir tagtäglich kämpfen. Also muss das DU hier kein weißes DU sein, es könnte ein rassisiertes anderes DU sein, das Vorstellungen von Schwarzer Minderwertigkeit verinnerlicht hat, oder Vorstellungen einer Schwarzen Bedrohung, oder Vorstellungen häuslicher Gewalt durch Schwarze Männer gegen Frauen, usw. Wie Charles W. Mills uns in seinem Buch The Racial Contract [6] erinnert, leben wir in Gesellschaften, die so strukturiert sind, dass sie weiße Privilegien sichern. Und Schwarze Menschen und andere minorisierte Gruppen können an der Aufrechterhaltung dieses Vertrages teilhaben.

Conzepte /

Und eine Frage zu den „Figuren“ Deines Textes, Monika: Wie Yvonne Rainer in Privilege verwendest Du als Stilmittel den Vor- bzw. Nachspann, eine Liste von Namen. Bei Dir sind aber nicht nur „Personen“, sondern vor allem Begriffe aufgezählt, die Deinen Text als Figuren bestimmen, könnte man fast sagen, wie zum Beispiel: Nesigurnost (Unsicherheit), Vergewaltigung, oder Ähnlichkeit – kannst Du dazu (und zu Deinen „Hauptfiguren“) etwas sagen?

Monika Bernold /

Ja, wahrscheinlich habe ich, wie Ihr es so pointiert formuliert, Begriffe als Figuren besetzt. Im Abspann meines Textes sind diese Figuren Stellvertreter/innen für die Fragen, Konzepte und Bilder, die mich bei der Lektüre von Yvonne Rainers Text und beim Sehen des Films beschäftigt haben und um die herum ich meinen Text und seine Bilder gebaut habe. Anfang, Wiederholung, Nesigurnost, Ungleichheit, Ähnlichkeit, Stara žena (Alte Frau). Begriffs-Figuren auch als Stellvertreter/innen für jene, die in meinem Text nicht auftreten, aber auftreten könnten, als begriffliche Verkörperungen der Geschichten, die Yvonne Rainer in Privilege erzählt beziehungsweise in mir als Zuschauerin filmisch berührt. Erinnerung zum Beispiel, Exklusion oder Abwesendheit. Interessant wäre zu fragen, welche Beziehungen haben diese Begriffs-Figuren zueinander? Wie sind sie im Raum positioniert und welche Richtungen nehmen ihre Bewegungen ein? Die Figur der Wiederholung zum Beispiel käme gemeinsam mit der Figur der Erinnerung ins Bild oder brächte die Figur der Erinnerung zum Verschwinden. Begriffs-Figuren könnten auch zur Identifikation einladen, oder? Nesigurnost und Stara žena sind, glaube ich, begriffliche Schnittstellen zwischen Privilege und den autobiographischen Momenten in meinem Text.

Conzepte /

Eine Conzepte-Anforderung [7] war die Bereitschaft zur Entwicklung einer persönlichen-politischen Position/ierung. Dabei hatten wir ein (vielförmiges) Nachdenken über Sprecher/innen-Positionen im Auge. In der Redaktion gab es Diskussionen, ob diese Anforderung Autor/innen zu identitären Verortungen veranlasst, oder auch andere, freiere Formen der Selbstpositionierung ermöglicht.

Nun arbeiten Eure Texte Eure jeweiligen Position/ierung/en tatsächlich mit ganz unterschiedlichen Mitteln heraus: Monika webt autobiografische Informationen und Kommentare in ihren Text ein, während Shirleys Position/ierung vor allem im Wechsel zwischen sachlicher Feststellung und direkter Anrede der Leser/in deutlich wird. Wie ging es Euch mit der Conzepte-Anforderung? Wie seht Ihr diesbezüglich den Text der jeweils anderen?

Shirley Tate /

Ich habe mich hier gegen das Autobiografische entschieden, weil ich dachte, es besteht keine Notwendigkeit dazu. Der Film bietet eine ganze Menge an reichhaltigem Material. Doch wenn ich das so sage, dann denke ich auch, dass wir immer als jemand positioniert sind und auch unsere Leser/innen als jemand positionieren, wenn wir schreiben. Die Stärke des Films liegt für mich darin, dass er mir an die Nieren geht, mich auf eine sehr direkte, viszerale Art anspricht. Und so ist auch die Antwort, die Privilege mir entlockt hat, eine viszerale. Ich kann sie nur übermitteln, indem ich mich direkt an die/den imaginierte/n Leser/in des Textes wende, an das DU (YOU). Schauen, Denken, Lesen, Schreiben sind für mich affektive Prozesse und wir stellen das allzu oft hintan und sprechen nie direkt zu unseren Leser/innen, aufgrund von Beschränkungen durch das jeweilige Projekt oder Medium und in meinem Fall auch durch den akademischen Kontext und was man dort als gültiges Wissen ansieht.

Monika Bernold /

Das Spannende an Eurem Projekt Conzepte war für mich, einen Möglichkeitsraum zu betreten, in dem die eigenen biographischen, akademischen und politischen Positioniertheiten beim Sehen eines Films, bei der Lektüre und beim Schreiben reflektiert und mit anderen diskutiert werden können. Es entstehen dabei Verschiebungen, es entsteht Bewegung.

Mich würde interessieren wie Du, Shirley, die Relation Deiner beiden Titel näher bestimmst, also was für eine Beziehung der Doppelpunkt zwischen der „Realität des Schwarzseins“ und der „Psychodynamik weißer Mythen“ für Dich markiert?

Shirley Tate /

Auf Titel und Doppelpunkt kam ich, nachdem ich Privilege ein paar Mal gesehen hatte. Ich versuchte zu verstehen, welche Verbindung der Film zwischen Weißsein, anscheinend sein Hauptfokus, und Schwarzsein, anscheinend sein bedrohliches Gegenteil, herstellen wollte. Besonders interessant fand ich die Tatsache, dass Privilege unvermeidlich eine weiße Erzählung ist: eine Geschichte über Schwarzsein als Bedrohung oder als psychische Krankheit, über Schwarze Männer als Gewalttäter gegen Frauen, über Schwarze Frauen als von Schwarzen Männern Misshandelte, als tragische „Mulattinnen“ [8] oder als Unterbeschäftigte, und das trotzdem die Kamera die Schwarzen Mitwirkenden ins Zentrum rückt und sie ihre Geschichten erzählen. Der Film schien mir eine Erzählung des weißen Amerika zu sein, und seines beständigen Drangs, Schwarzsein durch die eigenen Mythen von sich selbst und durch die rassisierte Anwesenheit innerhalb der Gesellschaft auf Distanz zu halten. Der Doppelpunkt verdeutlicht diese psychische Verbindung zwischen dem Selbst und dem Anderen, die in einer weißen Erzählung über Schwarze Erbärmlichkeit unentdeckt bleiben will.

Monika Bernold /

Der Begriff der Erzählung kommt in Deinem Text immer wieder vor. Welchen Stellenwert haben Erzählungen von Lebensgeschichten und Subjektivitäten innerhalb komplexer Systeme hierarchisierender Privilegien, um diese zu verschieben, zu reflektieren, zu verändern?

Shirley Tate /

Ich arbeite über Erzählungen (Lebensgeschichten) und ich denke, wie auch immer sie aufgebaut sind, können sie uns eine Menge darüber sagen, wie die Welt gesehen und konstruiert wird, und wie Identifikationen hergestellt werden. Die Überlagerung von Fanons Worten mit dem Bild von Carlos im Park, zum Beispiel, ermöglicht uns in dem Moment die Einsicht, dass die Bedrohung nicht von Carlos ausgeht, sondern von der weißen Psyche selbst, die diese Bedrohung als ihr zentrales Thema aufrührt. Dignas Dialog machte mich auf die Abwesenheit von Schwarzen Frauen aufmerksam. Digna spricht auch nicht über die Wechseljahre, sondern über ihre Sehnsucht nach der Heimat und dem guten Leben in Puerto Rico, wo ihr Verständnis entgegengebracht würde. Die Themen häusliche Gewalt und psychische Gesundheit haben mich ebenfalls stutzig gemacht. Dignas Erzählung verändert die Sichtweise, dass sich der Film auf eine Erfahrung von Frauen in ihren späten Jahren, auf die Menopause, konzentriert und lässt uns vielmehr über die Besonderheiten der Rassismus-Erfahrungen von Schwarzen Frauen jeden Alters nachdenken. Mir stellte sich folgende Frage: Warum war Dignas Erzählung eingefügt worden, wenn sie sich doch so abseits des Themas der Wechseljahre befand? Diese Frage zur Erzählung Dignas half klarzumachen, dass der Fokus auf dem besagten Doppelpunkt liegt, den Du vorhin angesprochen hast.

/

Das Gespräch mit Monika Bernold und Shirley Tate über ihre Texte zu Yvonne Rainers Film Privilege (1990) wurde per Email geführt und redaktionell gekürzt. Die Fragen stellten Sabine Rohlf und Jo Schmeiser.

Übersetzung aus dem Englischen (Shirley Tate) von Jo Schmeiser und Nicholas Grindell

Literatur

Privilege von Yvonne Rainer, 16 mm, Farbe und Schwarz-Weiß, 103 Min., 1990. Das Skript zum Film erschien in: Yvonne Rainer, A Woman Who …, The Johns Hopkins University Press: Baltimore 1999 bzw. auf Deutsch in: Kunstverein München / Synema (Hg.), Yvonne Rainer. Talking Pictures, Passagen: Wien 1994. Der Film ist zu sehen auf: http://boystown.tumblr.com/pos...

Anmerkungen der Redaktion

1) Zum Konzept des Black Atlantic siehe Paul Gilroy, Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness, London 1993, und seinen Text „Der Black Atlantic“ im gleichnamigen Ausstellungskatalog, Haus der Kulturen der Welt, Tina Campt und Paul Gilroy (Hg.), Berlin 2004, S. 12-32. Und Fatima el-Tayeb schreibt dazu in ihrem Text „Black Atlantic in Berlin? Queering Popular Culture, Afrikanische Diaspora und das Schwarze Europa“ Folgendes: „Gilroys Konzept mit seinem Fokus auf das Dreieck Afrika-Europa-Amerika lenkt den Blick auf interkulturelle transkontinentale Prozesse, die mit nationalen Entwicklungen interagieren, aber nicht auf diese zu reduzieren sind. Das System der Sklaverei figuriert nicht als (nur) amerikanische Erfahrung, sondern als konstituierendes Erlebnis des modernen Bewusstseins insgesamt. Der transatlantische Sklavenhandel erscheint als forcierter Globalisierungsprozess, zentral für das Entstehen der Moderne, sein Einfluss weit über nationale und selbst kontinentale Grenzen hinausgehend.“ (S. 399-413, hier: S. 400.)

2) Zur Übersetzung von „race“ und „racial“ ins Deutsche siehe unsere Anmerkung 1 im Text von Shirley Tate.

3) Der Spielfilm The Help von Tate Taylor (USA 2011) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Kathryn Stockett (New York 2009) und ist unter dem Titel Gute Geister (München 2010/2011) in der Übersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann auf Deutsch erschienen.
http://kathrynstockett.com/
http://www.youtube.com/watch?v...

4) Imitation of Life ist ein Roman von Fannie Hurst (New York 1933 / Durham, NC 2004), der von John M. Stahl (USA 1934) und von Douglas Sirk (USA 1959) verfilmt wurde. Shirley Tate bezieht sich hier auf die Verfilmung von Sirk.
http://www.youtube.com/watch?v...
http://www.youtube.com/watch?v...

5) Zum Konzept des Passing siehe den Text von Anna Kowalska und die dortigen Literaturverweise in Anmerkung 4, 8 und 9.

6) Charles W. Mills, The Racial Contract, Ithaca, NY 1997

7) „Wir wünschen uns Texte, die deutlich machen, welche Beziehungen zwischen dem gewählten Buch, Film, Song und dem Denken, der Arbeit, der persönlichen und politischen Perspektive der jeweiligen Autorin besteht. Ein solcher Text kann autobiografische Elemente haben, aber auch ohne direkten Bezug auf die eigene Lebensgeschichte auskommen.“

8) Die Real Academia Española, der auch der Duden folgt, leitet den Begriff „Mulatte/Mulattin“ vom spanischen/portugiesischen Wort „mulo/mula“ (Maultier) ab. Orientalist/innen hingegen berufen sich auf den Sprachwissenschaftler Leopoldo Eguílaz und führen den Begriff auf das arabische Wort „muwallad“ (Mischling) zurück. (Quelle: Wikipedia) Im Deutschen wird „Mulatte/Mulattin“ aufgrund der ersten etymologischen Herleitung meist als rassistischer Begriff abgelehnt. Er findet aber auch als rückangeeignete Selbstbezeichnung Verwendung. Wir benutzen hier den Begriff, da Shirley Tate über rassistische Stereotypen schreibt und setzen ihn in Anführungsstriche.